Es ist allgemein bekannt, dass zu viel Computerarbeit ohne entsprechenden Bewegungsausgleich vermehrt zu Rückenschmerzen führen kann. Besonders im Homeoffice, wo der Arbeitslaptop häufig auf dem Küchentisch platziert ist, kann es durch falsches Sitzen, fehlerhafte Körperhaltung und zu wenig Bewegung zwischendurch zu schmerzenden Schulter- und Nackenmuskeln kommen. Doch nicht nur durch die Arbeit im Homeoffice, sondern auch durch die vermehrte Nutzung von Smartphone oder Tablet entstehen Beschwerden im Nacken- und Halswirbelbereich. Denn unsere Schultern ziehen sich hoch und unser Nacken/Rücken wird runder, je öfter wir nach unten auf unser Handy schauen.
Dies ist jedoch kein neues, der Corona-Pandemie geschuldetes Phänomen, sondern „Beschwerden dieser Art tauchen durchweg das ganze Jahr immer wieder auf“, berichtet Physiotherapeutin Conny*. Im folgenden medplus-Exklusiv-Interview mit der versierten Physiotherapeutin erfahren Sie, welche Themen Patienten und Physiotherapeuten in dieser Zeit beschäftigen und was für Tipps und Übungen wirklich helfen, um Rücken- und Nackenschmerzen vorzubeugen. Darüber hinaus gibt Ihnen unsere Interviewpartnerin wertvolle Tipps zum Thema Faszientraining, welches ebenfalls die Beweglichkeit unterstützt und bei der Prävention von Muskelschmerzen hilft.
Zur Person: Nachdem sie ihre Ausbildung im Jahr 2005 erfolgreich beendet hatte, ging Conny für drei Jahre nach Österreich, um in verschiedenen Luxushotels ihre Kenntnisse im Wellness- und Spa-Bereich auszubauen. Mittlerweile verfügt sie über zahlreiche Erfahrungen in unterschiedlichen Bereichen rund um die körperliche Fitness sowie geistige Balance und Wohlbefinden. Mit mehr als 50 Weiterbildungen – unter anderem in den Bereichen Ayurveda, Faszientraining, Lymphdrainage, Manuelle Therapie, Embodiment, Akupressur, TCM – sowie verschiedenen Wellness-Weiterbildungen ist sie mehr als bewandert in allen Bereichen, die zur Lösungsfindung von körperlichen Beschwerden herangezogen werden sollten.
Darüber hinaus hat Conny ihre Weiterbildungen im Bereich Applied Kinesiology (AK) absolviert. Die AK stellt eine ganzheitliche Untersuchungs- und Therapiemethode sowie eine strategische Suche nach den Ursachen von Beschwerden dar, die auf der manuellen Testung von Muskeln basiert. Zusätzlich hat sie sich als Präventionstrainerin Gesundheitsbezogene Fitness qualifiziert und gibt unter anderem präventive Herz-Kreislauf-Kurse mit Schwerpunkt auf Indoor-Aktivitäten wie Bewegung auf Musik oder Step-Aerobic sowie Outdoor-Aktivitäten wie Nordic-Walking. Außerdem verfügt sie über umfangreiche Kenntnisse der Rückenschule und Osteoporose und führt Spezialanwendungen der Haltungs- und Bewegungsschulung durch.
medplus: Wie gehst du vor, um die Probleme deiner Patienten zu lösen? Hast du da verschiedene Techniken oder immer den gleichen Ansatz?
Conny: Oft benötigen Patienten eine Kombination von mehreren Behandlungsmöglichkeiten, um ihre Beschwerden zu lösen. Also greife ich auf mein gesammeltes Wissen aus den unterschiedlichen Bereichen zu, um meinen Patienten zu helfen – ganz im Sinne der ganzheitlichen Betrachtung. Denn die Lösungen oder Behandlungen sollten möglichst individuell sein, so wie jeder Patient selbst ist.
Ich habe mich schon früh dazu entschieden, nicht strikt nach Lehrbuch der klassischen Schulmedizin zu handeln, sondern den Patienten ganzheitlich zu betrachten. In dem Zusammenhang habe ich mich ausführlich mit Naturheilverfahren beziehungsweise holistischen Lebenskonzepten wie Ayurveda oder der traditionellen chinesischen Medizin beschäftigt.
medplus: In deinen 16 Jahren Berufserfahrung hast du bestimmt schon einiges gesehen. Was, denkst du, ist die häufigste Ursache für wiederkehrende Beschwerden deiner Patienten?
Conny: Das kann man wirklich nicht genau sagen, denn jeder Patient muss individuell betrachtet werden. Häufig liegt die Ursache für (immer) wiederkehrende Beschwerden fernab der Symptome. Denn oft sind komplexe Ursachen verantwortlich für die entstandenen Schmerzen, wie z.B. Wechselbeziehungen zwischen Gelenken und Muskeln sowie Stoffwechselaspekte. Aber auch emotionale Ursachen wie Stress, Kummer oder traumatische Erlebnisse wirken sich nicht nur auf die psychische, sondern auch auf die körperliche Gesundheit aus.
"Die Psyche hat einen zunehmenden Einfluss auf die heutigen Patienten und deren Behandlung."
Und es ist wichtig, das große Ganze zu betrachten. Denn gerade in der heutigen Zeit hat die psychische Belastung spürbar zugenommen und spielt im Alltag eine größere Rolle. Besonders durch die Zunahme von Ängsten, wie der Angst, sich anzustecken, oder begründeten Existenzängsten durch Kurzarbeit oder Jobverlust. Und wenn es um unsere Psyche nicht gut bestellt ist, leidet der Körper mit. Das lässt sich zudem an unserer Körpersprache oder -haltung deutlich erkennen. Zum Beispiel lassen wir den Kopf, die Mundwinkel und die Schultern hängen, wenn wir traurig oder bedrückt sind und gehen mit aufrechtem Gang und lebensfrohem Lächeln im Gesicht, wenn wir gut gelaunt und voller Tatendrang sind. Jedoch haben wir durch Embodiment die Möglichkeit, über unsere Körperhaltung unsere Gefühle teilweise zu beeinflussen – und umgekehrt.
Bei häufiger Konfrontierung mit bestimmten Situationen oder dem Erleben von Emotionen können langfristig Haltungsänderungen oder Muskelspannungen und dadurch Beschwerden auftauchen.
„Wir sollten mehr auf unser Bauchgefühl hören.“
Viele Menschen sind der Meinung, Entscheidungen sollten nur mit dem Verstand getroffen werden und haben verlernt, auf ihr inneres, schlaues System – ihr Bauchgefühl – zu vertrauen. Wenn wir das allerdings tun, bedeutet dies, dass wir nicht vollkommen hinter der Entscheidung stehen. Wir merken das, denn wir fühlen uns mit der getroffenen Entscheidung ‚nicht so wohl‘.
medplus: Okay, zurück zum Greifbaren. Sind dir während der Coronakrise besondere Entwicklungen in deiner Praxis aufgefallen? Gab es zum Beispiel mehr Beschwerden durch die Arbeit im Homeoffice?
Conny: Eher weniger. Bei uns hat sich kaum etwas verändert. Bis auf die Maskenpflicht und ein paar Patienten, die ihre Termine aus Angst vor Corona abgesagt haben, ist alles beim Alten geblieben. Wir arbeiten weiterhin im Akkord – bei einem Patientenwechsel im 20-Minuten-Takt – nur haben jetzt nicht mehr die volle Zeit zur Verfügung, da wir ja vor und nach jeder Behandlung alles noch aufwendiger desinfizieren müssen. Und Nacken- oder Rücken- und Schulter-Patienten haben wir das ganze Jahr über. Ansonsten gibt es jedes Jahr verschiedene ‚saisonale Beschwerden‘. Zum Beispiel besuchen uns im März und April viele Menschen mit Handgelenksfrakturen, weil sie sich im Ski-Urlaub verletzt haben, wobei das dieses Jahr natürlich zum größten Teil entfallen ist. Und im Juni kommen viele Menschen mit Knieproblemen in die Praxis. Warum das so ist, kann ich allerdings auch nicht sagen, aber es passiert jedes Jahr aufs Neue.
medplus: Ich habe bei dem Thema Corona-Maßnahmen und Maskenpflicht so einen leichten Unterton vernommen. Wie kommst du mit den aktuellen Bestimmungen im Berufsalltag zurecht?
Conny: Ich weiß ja, dass es notwendig und sinnvoll ist, aber das stundenlange Tragen der FFP2-Maske ist wirklich anstrengend. Und da wir durch das coronagerechte Vorbereiten des Behandlungsraumes keine Zeit haben, bevor der nächste Patient hereinkommt, ist es schwer beziehungsweise unmöglich, zwischendurch mal durchzuatmen.
medplus: Das glaube ich dir. Mir persönlich reicht schon eine Stunde beim Einkaufen. Schade, dass die Option Homeoffice für euch verwehrt bleibt. Apropos Homeoffice – hast du ein paar nützliche Tipps oder Übungen für unsere Leser, um Rücken- und Nackenschmerzen (bedingt durch die Büroarbeit) vorzubeugen?
„Theorie und Praxis sind wie Einkaufszettel und Kassenbon.“
Conny: Ein Patentrezept gibt es auch bei diesem Thema nicht. Einer der wichtigsten Punkte ist die Position des Bildschirms. Der Laptop oder Monitor sollte immer gerade vor einem stehen und nicht seitlich versetzt. Und man sollte nicht lange steif sitzen, sondern sich immer mal zwischendurch bewegen – mindestens fünf Minuten pro Stunde. Zusätzlich kann auch gerne mal der Arbeitsplatz gewechselt werden, sofern das möglich ist. Dann kann man seinen Laptop für eine kurze Weile mit auf die Couch nehmen, bevor es wieder zurück an den Küchentisch geht. Am besten richtet man sich einfach nach seinem Körper und tut, was einem guttut, Hauptsache man bleibt in Bewegung. Denn auch bei den vielen tollen Ergonomie-Richtlinien ist doch jeder Mensch unterschiedlich gebaut und braucht in der Praxis eine andere Haltung als den ca. 90°-Beinwinkel. Ich vergleiche das immer gerne mit dem Thema Einkaufen – Theorie und Praxis sind wie Einkaufszettel und Kassenbon.
Da wir eigentlich Affen sind, kommt dazu, dass wir es nicht gewohnt sind, unsere Arme nach unten hängen zu lassen und aufrecht zu gehen. Durch diese falsche, unnatürliche Haltung – geht man von unserem evolutionsbiologischen Ursprung aus – sind unsere Armmuskeln verkümmert und es fehlt die Stabilität, unseren Nacken richtig zu stützen. Eine gute Möglichkeit, Rücken- und Nackenbeschwerden vorzubeugen, sind daher Klettersport und regelmäßige Liegestütze. Darüber hinaus helfen Entspannungs- und Dehnübungen, wie zum Beispiel beim Sonnengruß aus dem Yoga, den Körper flexibel und stark zu halten und sich gegen Nackenschmerzen zu wappnen.
Zudem sind gerade bei Nacken- und Schulterschmerzen oft verkürzte Brustmuskeln, die die Brustwirbelsäule in die Krümmung zwingen, die Ursache der Probleme. Auch hier helfen Yoga-Übungen, um die Brustmuskulatur zu dehnen und zu stärken. Als Lösungsansatz kann man oft eine einfache Faustregel zu Beginn der Diagnose heranziehen: ‚Das Opfer liegt am Boden und schreit vor Schmerz und der Täter steht häufig gegenüber.‘ So liegt die Ursache für Schulter- und Nackenschmerzen in den meisten Fällen gegenüber, bei den Brustmuskeln bzw. der Brustwirbelsäule.
medplus: Ein Trendbegriff: Faszien. Du als ausgebildete Faszientrainerin kennst doch bestimmt sämtliche Do’s and Don‘ts im Bereich Faszientraining. Was können wir für eine hohe Beweglichkeit und ein gutes Bindegewebe tun und was sollten wir bleiben lassen?
Conny: Fasziengewebe umgibt unsere Muskeln und Organe, gibt uns die Form und Stabilität und hält zusammen, was zusammengehört. Früher wurden sie in der Medizin gar nicht beachtet und als unwichtiges Bindegewebe einfach weggeschnitten, das änderte sich erst im Jahr 2007 beim ersten Internationalen Fascia Research Congress. Denn unser Körperbau gleicht eher einer Mandarine. Das Fruchtfleisch wird von einer dicken, weißen, festen Haut umhüllt und die einzelnen Segmente sind ebenfalls mit einer dünneren weißen Haut umgeben und werden auf diese Weise zusammengehalten – ähnlich wie unsere Muskeln von den Faszien. Eigentlich sind die Faszien das Wichtige, weniger der Muskel selbst.
„Faszien wollen bewegt werden.“
Um seine Faszien geschmeidig zu halten, sollte man in erster Linie ausreichend trinken und sich regelmäßig bewegen. Denn Wasser- sowie Bewegungsmangel führen zu verklebten oder verhärteten Faszien. Diese schränken die allgemeine Beweglichkeit mitunter stark ein und erhöhen zudem die Verletzungsgefahr. Zusätzlich können enorme Verspannungen sowie Nervenschmerzen auftreten. Außerdem wird der Lymphfluss gehemmt und die Organe im Allgemeinen schlechter versorgt.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Übersäuerung. Durch einen sauren pH-Wert ziehen sich die Faszien zusammen – und das geht sehr schnell. Sehr viel länger dauert es dann, bis sie wieder auseinandergehen. Eine Übersäuerung des Körpers kann zum einen durch eine falsche Ernährung, zum anderen aber auch durch Schlafmangel sowie Stress entstehen. Denn bei Stress schüttet der Körper das Stresshormon Cortisol aus, welches in vermehrter Menge die Faszien unter Dauerspannung setzt. Deswegen ist die Faszien-Therapie heute so sanft wie möglich, im Gegensatz zu früher, wo auf der klassischen Schmerzempfindungsskala 1 – 10 eine 8 oder 9 während der Behandlung erreicht werden sollte. Glücklicherweise ist diese Ansicht mittlerweile überholt, da wir ja Stress für den Patienten vermeiden wollen.
medplus: Was brauchst du für dein perfektes Faszientraining? Und worauf müssen gerade Anfänger beim Faszientraining achten, beziehungsweise gibt es hier spezielle Faszienrollen, die du empfehlen kannst?
Conny: Also, für ein effektives Faszientraining braucht man nicht mehr als eine Faszienrolle, einen Yoga-Block, zwei Bälle in verschiedenen Größen und eine Trainingsmatte. Dabei sollte die Rolle am besten 45 cm lang sein und einen Durchmesser von 12 cm haben sowie mit einer Wellenoberfläche strukturiert sein. Die wellenartige Oberflächenstruktur wirkt dabei besonders durchblutungsfördernd. Personen, die mit dem Faszientraining anfangen, sollten zu Beginn möglichst langsam und behutsam rollen und eine Rolle mit einem möglichst weichen Härtegrad verwenden.
medplus: In unserem Shop bieten wir eine Reihe von Rollen und Bällen für das Faszientraining an. Hast du außerdem noch andere sinnvolle Produkte gefunden?
Conny: Also, Thera-Bänder eignen sich für diverse Übungen, um viele Muskel- und Gelenkfunktionen wiederherzustellen. Das Blackroll Mini Gym-Set ist gut für die Behandlung der Fußreflexzonen und das Loop Fitnessband kann man prima zur Stärkung der Oberschenkelmuskulatur nehmen. Beim TheraWave überzeugt mich vor allem die Wellenstruktur und die Aufbewahrungsmöglichkeit vom Blackroll Block ist auch klasse. Darüber hinaus ist mir der Twister mit seiner Noppenoberfläche ins Auge gefallen, damit lassen sich Triggerpunkte gut behandeln.
Wir sind am Ende vom ersten Teil unseres Experten-Interviews mit Physiotherapeutin Conny* angekommen. Wir bedanken uns an dieser Stelle recht herzlich für das spannende und sehr informative Gespräch. Im nächsten Teil erzählt uns Conny dann, wie sinnvoll Massagepistolen in ihrem Berufsalltag sind, was eine gute Massagepistole mitbringen muss und worauf man bei der Selbstbehandlung mit Theragun und Co achten sollte.
Das Interview führte J. Guthardt im Mai 2021.
*Name wurde redaktionell geändert